Wie man keine Freunde findet…

Produktivität

Früher war es irgendwie viel leichter jemanden kennenzulernen. Man verbrachte überdurchschnittlich viel Zeit mit zunächst unbekannten Menschen – man war über einen langen Zeitraum zusammengepfercht (Kindergarten, Schule, Uni) und hatte einen gemeinsamen Feind. Wir wissen alle wen wir hier meinen. Heute ist man zwar auch mit zunächst Unbekannten zusammengepfercht – und zwar in der Arbeit – und meist gibt es auch hier irgendjemanden, den man gemeinsam hassen kann, aber man beschäftigt sich nicht mehr so sehr miteinander. Klar weiß man, wie die anderen heißen, wo und eventuell sogar mit wem sie leben, aber sobald sich ein ruhiger Moment ergibt, zum Beispiel, wenn man gemeinsam auf jemanden warten muss oder gemeinsam zu einem Termin unterwegs ist, sind alle mit ihren Smartphones beschäftigt. Statt dass man sich miteinander unterhält und kennenlernt… Nein, man schaut sich lieber noch eine lustige GIF an, die man gerade per WhatApp bekommen hat. Und ich nehme mich da nicht aus. Und? Wer von euch möchte den ersten Stein werfen?!

Wenn ich mir meine Kinder anschaue, diese haben am zweiten Schultag bereits ihren heute noch (!) besten Freund kennengelernt. Am dritten Tag kam ein weiterer Freund hinzu. Und so ging es weiter, dass sie bereits nach ein paar Monaten fast die gesamte Klasse zum Übernachten nach Hause eingeladen hatten. Natürlich ohne es mit mir abzusprechen. (Anm. der Red.: Die beiden sind achtjährige Zwillingsbuben.) Warum finden Kinder so schnell Anschluss? Oder besser gesagt, warum tun wir Erwachsene uns da so viel schwerer? Zumindest ich. Ich lerne zwar Leute schnell kennen, aber ich siebe viel zu schnell aus. Permanent. Ich weiß meistens nach zwei bis drei Minuten, ob ich die Person interessant finde oder nicht. Das geht ruck-zuck bei mir. Und es geht nicht nur schnell mit dem Aussieben, auch die Löcher im Sieb sind viel größer geworden. Aber das passt doch auch zu meiner neuen Lebenseinstellung, dass ich meine Zeit nich mehr verschwenden will und ich mich nur mehr mit Menschen umgeben will, die mir guttun. Was aber, wenn ich eine zu ungeduldige, voreilige und arrogante Kuh bin und daher Menschen in mein Leben nicht lasse, die ich eigentlich cool finden würden, würde ich mir die Zeit nehmen, sie besser kennenzulernen. Es ist ein Teufelskreis. Und sollte man nicht jedem eine zweite Chance geben? Aber was wenn das wieder nur Zeitverschwendung ist? Und wir wissen ja, die Uhr tickt immer lauter sobald man sich der 4 und der 0 dahinter nähert.

Oft denke ich, dass ich Menschen zu schnell abserviere. Sie zu schnell verurteile und in eine verschließbare Schublade stecke mit dem Hinweis „Öffnen auf eigene Gefahr!“

Das ist vielleicht auch der Grund warum ich sehr wenige Freunde habe. Viele Bekannte, aber wenige wirklich gute Freunde. Ich bin sehr vorsichtig damit, wen ich als meinen Freund bezeichne. Mein Mann dagegen, ist sehr großzügig mit Freundschaften. Jeder mit dem er sich gut versteht ist auch sein Freund. Bei mir ist das nicht so. Ich bin da sehr wählerisch. Sehr, sehr wählerisch. Daher habe ich auch keine. Oder nur ein paar wenige. Warum das so ist, kann ich jetzt schwer erklären. Dafür wären wahrscheinlich auch ein paar Therapiesitzungen nötig. Daher lassen wir das erstmal. Ich kann das nur so erklären, dass ich nicht viele Menschen leiden kann. Es gibt schon sehr „komische“ Menschen – nicht im Sinne von witzig, sondern eher im Sinne von eigenartig. Mich mag wahrscheinlich auch nicht jeder. Und mich muss auch nicht jeder mögen. Schlimm ist es aber, wenn einen jemand mag, dem man aber selber nicht diese Wertschätzung zurückgeben kann. Das ist eher mein Problem. Ich bin meist damit beschäftigt, mir Ausreden einfallen zu lassen, warum ich keine Zeit habe, mich mit jemanden zu treffen oder warum ich dieses und auch die kommenden Wochenenden leider keine Zeit habe, eigentlich das ganze Jahr schon verplant bin. Und danach ziehe ich um. Nach Neuseeland. Aber ihr könnt uns dann dort gerne besuchen.

Bin ich gemein? Kann sein. Aber wäre es nicht noch gemeiner, ich würde eine freundschaftliche Beziehung vorlügen? Da ist das angebliche Auswandern auf die andere Seite des Globus doch die feinfühligere Option oder etwa nicht?